Bericht: Trudi Kummer

Fotos: Trudi Kummer

Briefe gegen die Distanz

Mein lieber Enkel (12)
Eben habe ich meiner Nachbarin dein Päckli gebracht, weil ich nicht mehr selber auf die Post darf. Normalerweise feiern wir deinen Geburtstag im asiatischen Restaurant in Oerlikon. Normalerweise kommst du ab und zu ein Wochenende nach Bern. Auch wenn ich bei jeder Begrüssung spüre, wie stark du gewachsen bist, läuft doch die Ankunft bei mir immer gleich: Du ziehst die Schuhe aus und gehst zur Kommode mit dem Schleckzeugböxli, zählst ab und teilst ein. „Was gits z Aesse?“ Da kommen weitere Gewohnheiten hinzu, es gibt bei uns Chäschüechli, vielleicht Fischstäbchen und vor allem unser Sp – Essen: Spinat, Speck. Spiegelei und Spocki (eigentlich mit St). Die gesunde Rettung ist die Vitaminbombe Gurke, die rädelst du uns als Apéro, mit Aromat! Und dann:„Was mache mer hüt?“ Auch hier läuft es immer wieder gleich: Du trainierst auf dem Schulhausplatz Basketball, ich träume auf der Treppe in die Sonne und zähle deine Korbwürfe. Und du wählst den Tierpark, wo dein Adlerauge sofort durchsichtige Garnelen und winzige Baumsteigerfröschli entdeckt. Wir wissen nie, was es wird, aber jedes Mal beobachten wir etwas, das uns Gesprächsstoff gibt. Gespräche kommen unterwegs am besten ins Laufen, ein auslösendes Stichwort, dann sprudelt oft ein Erzählen nach. Aber eben, jetzt fehlst du mir mit allem, was wir zusammen erleben können. Täglich bekomme ich von deiner Mutter dein Schulprogramm weitergeleitet mit Tagebuch und Bildern von Kreativem, vom Haushalthelfen, deinem Solosport im Gärtlein und vom Volleyspiel mit einem Freund.

Meine liebe Enkelin (10)
Wie dein Cousin wohnst du in Zürich. Du hast mich gebeten, dich im Schulprogramm zu begleiten. “Es gäbe elegantere elektronische Möglichkeiten. Bei uns läuft es so: Mein Handy lehnt im Eiercarton, an Kopfhörern arbeiten wir deine Wochenpläne ab. Milliliter verwandeln, Textverständnis aufschreiben, Meter teilen…, jeweils von 9.00 bis12.00 mit Einführungen und stiller Arbeit. Bald kommt dein SMS: „Bin fertig!“ und irgendein Grinsi oder Häsli dazu. (Wo hast du die her?) Gerne nähme ich die Papiere in die Hand, du aber: „Han ders scho ufs Handy gschickt!“ Eigentlich geht es recht gut so. Einmal pro Schultag höre ich dein schrilles „Näääii!! “ Dein Brüederli (4) hat sich unter einem Vorwand ins Zimmer geschlichen und Mami holt ihn flüsternd heraus; denn er stört, und in der Stube sitzt Papa mit zwei Bildschirmen am Arbeiten. Mama macht Homeoffice in der Küche zwischendurch und geht jetzt mit dem Wildfang auf den Platz hinaus riesige Eisenbahnschienen zeichnen. Eines Tages fehlt mir deine Zurückmeldung. Du antwortest nicht mehr!! Gefunden wirst du auf dem Sofa, Brüderchen an dich gekuschelt, du liest ihm deine Pflichtlektüre vor… Wie gerne wäre ich dabei – aber mit „Olaf“ und Schellenursli“! Ueber die Schulferien bist du sehr froh. Jetzt fahren wir 2 Mal die Woche weiter, eher mit Kreativem, Collagen und Kartoffelstempeln, und geben uns gegenseitig etwas Struktur. Heute ist frei, und weißt du, mir fehlt dein munteres „Hallo Grosi“ und das liebevolle „Tschüüss“ bei jeder kurzen Anrufsequenz. Ich geniesse es nämlich, viel mehr mit dir in Kontakt zu sein als normalerweise, wo du Schule und Freundinnen hast. Hoffentlich können wir im Sommer Kartoffeln graben zusammen – ich musste sie leider ohne euch setzen!

Bis gly, ihr lieben drei!
Herzlich
Grossmueti/Grosi

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